Die Frage ist nicht: Wie werden wir leben?
Sondern: Wie wollen wir leben?
(Richard David Precht)
Nach meinem Gastvortrag bei den Rotariern in der letzten Woche war es für mich naheliegend, meine Einstellung zu diesem Thema festzuhalten. Dies ist im Groben auch das Verhältnis, welches wir bei Tjiko zur digitalen Transformation pflegen.
Zunächst einmal definiere ich „Digitalisierung“ entsprechend Wikipedia als „die Umwandlung von analogen Werten in digitale Form“. Sie ist folglich als Werkzeug zu verstehen. Durch die Erfassung komplexer Sachverhalte, beispielsweise durch Zahlenwerte, ergibt sich eine deutlich größere Vielfalt an Möglichkeiten. Sie ist Mittel, nicht Selbstzweck. Mit den neuen Möglichkeiten, und das ist nichts Neues, steigen auch die Risiken. Insofern lohnt sich eine vernünftige Bewertung, um Chancen zu nutzen und Risiken abzuwenden.
Nachdem ich mir zu diesem Thema meine Gedanken gemacht habe, kann ich fünf Risiken beziffern; sicherlich gibt es jedoch noch weitere Ausprägungen. Mögliche Risiken könnten also sein:
- Nahezu offensichtlich ist der Verlust der individuellen Schutzrechte durch „Umsonst-Geschäftsmodelle“. Diese führen zum „Gläsernen Mensch“ mit entsprechenden Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte im Netz. Durch das Prinzip „wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten“ nehmen wir den Verlust des Individualitätsprinzips in Kauf. Dies ist allerdings noch das geringere Übel, wenn man sich vor Augen führt, dass weltweit nur eine handvoll Konzerne über unsere „digitalen Persönlichkeiten“ verfügen. Diese können daraufhin anhand der Daten Werbung und Nachrichten personalisieren; dies kann unseren Mikrokosmos weiter verkleinern und den Konzernen ermöglichen, ihr eigenes Weltbild zu etablieren. Durch diesen sich selbst verstärkenden Mechanismus werden sie schlussendlich noch mächtiger, wodurch unsere demokratischen Grundrechte im schlimmsten Fall gefährdet sein können.
- Eine Übereffizienz digitaler Infrastrukturen nimmt den Menschen gegebenenfalls den Willen, Verantwortung zu übernehmen und Tiefenkenntnisse zu erlangen. Prozesse werden ohne zu hinterfragen akzeptiert. Dabei leidet die Liebe zum Detail und schlussendlich auch die kindliche Begeisterung, die durch die persönliche Erfahrung entsteht, Neues selbst zu schaffen. Neu ist, dass wir laut den Prognosen einiger Zukunftsszenarien in einigen Jahrzehnten gar nichts mehr selber machen müssen. Wollen wir das? Beziehungsweise wie viel Effizienz tut uns gut?
- Die maximierte Verfügbarkeit (bspw. durch Amazon) führt zu Übersättigung und Relationsverlust gegenüber Konsumgütern. „Übersättigung“ zieht die berechtigte Analogie zur Ernährung; in diesem gesellschaftlichen Bereich hat sich das Phänomen auch ohne Digitalisierung bereits manifestiert.
- Digitale Infrastrukturen sind erstaunlich angreifbar und stellen gegebenenfalls Sicherheitsrisiken dar, ohne dass die meisten Nutzer sich dessen bewusst sind. Die Schwachstelle ist dabei in der Regel der Anwender, nicht das dahinterliegende technische Sicherheitskonzept.
- Die digitale Effizienzsteigerung, die i.d.R. nur wenigen großen Unternehmen zugute kommt, und erhöhte Marktaktivität (bspw. durch digitalen Börsenhandel) verschärfen die globale, aber auch die nationale Umverteilungsproblematik. Dies könnte zu weiterer gesellschaftlicher Spaltung führen. Zu guter Letzt kommt eine erhöhte Existenzbedrohung der Mittelschicht hinzu, da u.a. viele Arbeitsplätze wegfallen könnten, die heute als attraktiv gelten.
Anhand der genannten Risiken ist ersichtlich, dass sich in dieser Richtung eine Herausforderung anbahnt.
Ohne digitale Planung und maschinelle Fertigung wäre die nachhaltige Holzbauweise viel zu teuer.
Dem entgegen stehen jedoch auch klare Chancen durch die digitale Transformation:
- Es ist möglich, individueller auf Kundenwünsche und persönliche Bedürfnisse zu reagieren. Durch das intelligente Verwalten von persönlichen Einstellungen und Änderungswünschen werden „Mass Customization“ – Geschäftsmodelle möglich (MyMüsli, Tjiko, etc.). Dies erlaubt kostengünstig Individualität, wo bisher Einheitsbrei oder Ineffizienz vertreten waren.
- Zudem wird ein effizienterer Umgang mit Ressourcen ermöglicht. Wasser- und Stromverbrauch können intelligent gesteuert werden. Wir könnten durch autonome Taxis den Autofriedhof in unseren Straßen beseitigen, gebrauchte Gegenstände weitergeben (bspw. via ebay-Kleinanzeigen) und vieles mehr. Wichtig hierbei ist, dies nicht als „Ablasshandel“ zu betrachten, um schlussendlich doch mehr zu konsumieren.
- Es ergeben sich revolutionäre Möglichkeiten in der öffentlichen Verwaltung. Der Staatsapparat kann ebenso disruptiv umgestaltet werden, wie die Digitalisierung die wirtschaftliche Ordnung umgestaltet hat. Was im ersten Moment als nicht zu bewältigende Bürokratie erscheint, ist digital kein wirkliches Problem mehr. Hier nur vier von tausenden Möglichkeiten:
- Firmen und deren Produkte können individuell nach gesellschaftlicher, sowie ökologischer Nachhaltigkeit bewertet werden, beispielsweise nach dem Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie. Die Steuerlast könnte in letzter Konsequenz individuell für nachhaltige Produkte gesenkt werden.
- Über akkreditierte Onlineforen bei denen jeder Bürger einen gesicherten Account hat, kann politische Beteiligung der Bevölkerung unmittelbarer stattfinden. Dabei könnte die Spezialisierung auf politische Themen, in denen der jeweilige Bürger sich auskennt, ein entscheidender Schlüssel zur gelungenen Bürgerbeteiligung sein (Bsp.: ein Lehrer engagiert sich im Bereich Kultus, ein Zimmerer im Bereich Baurecht). Aus meiner Sicht eine sinnvolle Erweiterung unserer bisherigen Demokratie. Der Dialog wird sich dadurch versachlichen.
- Es sollte aus vielen Gründen ein bedingtes Grundeinkommen eingeführt werden. Um diese finanziellen Mittel zu erhalten muss im Zuge dieser Idee jeder Bürger, der nicht klassisch arbeitet, sein Engagement für die Allgemeinheit belegen. Institutionen und Projekte müssen dort registriert und anerkannt sein, auch kleine und persönliche.
- Über geschickte Verwaltung der Importgüter kann eine globale Rentenversicherung für den deutschen Konsum eingeführt werden. Die Arbeiter der Fabriken im Ausland machen diesen Anspruch dann bei der deutschen Botschaft geltend. Die berühmten „20 Cent“, die jeder mehr zu zahlen bereit wäre, würden dadurch an den Unternehmen vorbei direkt an die Arbeiter geleitet werden.
Mit ausreichend Kreativität lässt sich die Liste beliebig erweitern.
Wichtig ist mir an dieser Stelle das Potential hervorzuheben, welches sich für einen sanften Einstieg in eine nachhaltigere Wirtschaftsordnung ergibt. Immerhin gibt es Umfragen, dass sich acht von zehn Deutschen eine solche Umstrukturierung wünschen (Bertelsmann-Stiftung, 2012).
Gipfelglück erfordert Vorplanung, Risikobewertung, Ausdauer und Willenskraft in der Umsetzung.
Um diesen grundlegenden Wandel im Umgang mit Daten und Datenstrukturen mit begrenztem Risiko umsetzen zu können, gilt es aus meiner Sicht ein paar Voraussetzungen einzuhalten:
- Wir müssen unseren Umgang mit Daten grundlegend überdenken, die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist sicherlich ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Nichts ist „umsonst“.
- Der Staat muss beginnen, Perspektiven und Arbeitsplätze zu schaffen die langfristig benötigt werden. Die Arbeitsfelder werden stark von Forschung und darausfolgender Bewertung geprägt sein. Das Ziel ist, die flexiblen Modelle (bspw. Gemeinwohlbilanz) mit Variablen zu „füttern“; es werden also Biologen, Sozialwissenschaftler, VWLer, Software-Produktentwickler, usw. benötigt um die Umsetzung der oben genannten Ideen zu ermöglichen.
- Die zu erwartende Disruption muss abgefedert werden. Es werden Arbeitsplätze überflüssig; bereits heute hat das Smartphone etliche Berufsbilder obsolet gemacht. Dafür kommen beispielsweise Konzepte für Grundeinkommen in Frage. Der drohende Umbruch sollte aber auch frühzeitig und offen kommuniziert werden, da die individuelle Wertschätzung der Betroffenen das gesellschaftlich größere Problem darstellen dürfte.
- Die Schulische Bildung muss grundlegend überdacht werden. Kreativität, soziale Intelligenz, Priorisierung, Kommunikation, Präsentationsfähigkeit, digitale Ethik, Resilienzfähigkeit, bewusster Umgang mit digitalen Ressourcen, Ökologie, Philosophie, aktuelle Politik etc. sind Fähigkeiten, die aktuell kaum vermittelt werden. Nachhaltig ist das nicht, denn wir lernen aktuell primär Inhalte, die Computer auch abdecken können. Neue Zusammenhänge zu bewerten fällt den Rechnern jedoch schwer.
- Aktuell werden Start-Ups nur mit hoch skalierfähigen und disruptiven Geschäftsmodellen gefördert, ohne dass die Politik sich auf die Auswirkungen der Disruption vorbereitet. Eine Minimalforderung von meiner Seite lautet daher, dass Förderprogramme auch für nachhaltige Geschäftsmodelle aufgesetzt werden sollten, um Firmengründungen in diesem Bereich zu erleichtern.
- Der Einsatz von künstlicher Intelligenz muss per Gesetz dokumentiert und kontrolliert werden. Sowohl die Zielsetzung als auch der Weg dorthin müssen beschrieben und etwaige Risiken bewertet werden. Für den Notfall müssen entsprechend Handlungsszenarien vorbereitet werden. Ein Protokoll und ein Verantwortlicher sind zu benennen, ähnlich wie in der DSGVO.
- Großkonzerne im digitalen Bereich müssen stärker kartellrechtlich überwacht werden. In einem funktionierenden Markt darf es kein „to big to fail“, bzw. keine Systemimmanenz geben, da der Staat für Fehler in der Unternehmensführung als finanzielle Absicherung eingespannt wird. Das bezieht sich im Übrigen auch auf weitere Bereiche, wie Gesundheitsversorgung, Bankensektor, Infrastruktur, usw.
Zu guter Letzt möchte ich die persönliche Botschaft ergänzen: meine Zukunftsvorstellung beinhaltet, die durch die digitale Effizienz gewonnene Zeit für das soziale Umfeld und die eigene Persönlichkeitsentwicklung zu nutzen. Denn wir sollten nicht aus dem Auge verlieren: unser Handeln sollte immer der Lebensqualität dienen. Der eigenen und der globalen.
Lukas Schiffer